Die Renaissance der Judenbuche
Ein toter jüdischer Geschäftsmann.
Eine misshandelte Ehefrau. Ein Holzdieb ohne Gewissen. Ein junger
Mann unter Mordverdacht: Stoff für 20 spannende Geschichten.
Wer wurde zu Schulzeiten nicht mit Annette
von Droste-Hülshoffs Novelle Die Judenbuche (erstmals
1842 erschienen) gequält? Was damals den meisten eine unerträgliche
Lektüre war, hat spätestens jetzt gute Chancen auf Rehabilitation:
19 Autoren ließen sich von dem Stoff zu neuen Kurzgeschichten
inspirieren. Grund genug, sich noch mal ohne den Deutschlehrer im
Nacken damit zu beschäftigen, denn nicht umsonst hat sich die
Novelle unterschiedlichen Quellenangabe zufolge zwischen acht und
zehn Millionen Mal verkauft. Wenn das mal kein Bestseller ist.
Aaron wird erschlagen aufgefunden
Westfalen, zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts: Friedrich wächst
nach dem Tod seines Vaters, einem Alkoholiker, bei seinem kriminellen
Onkel Simon auf kein guter Einfluss für den ohnehin
schon verstörten Jungen. Kein Wunder, dass es Friedrich selbst
mit Recht und Ordnung nicht so genau nimmt. Mittlerweile ein höchst
arroganter Schnösel, sieht er es gar nicht ein, die hübsche
Silberuhr zu bezahlen, die er sich beim Juden Aaron geholt hat.
Als dieser ihn aber in aller Öffentlichkeit auf seine Schulden
anspricht, tickt Friedrich aus. Und bald darauf wird Aaron erschlagen
unter einer Buche im Wald gefunden. Natürlich gerät Friedrich
unter Verdacht, aber das Geständnis eines anderen scheint ihn
zu rehabilitieren. Trotzdem flieht Friedrich und bleibt 28 Jahre
lang verschwunden.
Die Novelle ist deutlich dichter, als es sich
hier wiedergeben lässt. Friedrichs Mutter Margret, sein Freund
Johannes, der ihm zum Verwechseln ähnlich sieht und vermutlich
der uneheliche Sohn Simons ist, der Förster Brandis, sie alle
lassen Raum für Spekulationen und Interpretationen, und nicht
umsonst hat die Autorin die Geschichte so oft umgeschrieben, bis
sie immer andeutungsreicher, immer dunkler wurde.
19 Variationen, 19 spannende Geschichten
19 Autoren haben sich nun des Stoffs angenommen und sich von Themen
wie Alkoholismus, häuslicher Gewalt, Antisemitismus oder auch
dem Doppelgängermotiv inspirieren lassen. Sie haben eigene
Geschichten daraus gemacht, die im Heute spielen oder vor über
200 Jahren. Sie haben sich vom Text weit entfernt oder Szenen fortgeschrieben,
die Droste-Hülshoff ausgelassen hat.
Die 19 Variationen wurden herausgegeben von Frank Göhre und dem
Verleger Günther Butkus und stammen von teils mehrfach mit Preisen
ausgezeichneten Autoren wie Jenny Erpenbeck, Judith Kuckart, Michael
Weins, Friedrich Ani, Doris Gercke, Robert Hültner, Carlo Schäfer
und natürlich auch dem frisch gebackenen Träger des deutschen Krimipreises
Frank Göhre. Eine wundervolle, anregende, spannende Sammlung, und
eine tolle Gelegenheit, die Novelle zu entstauben und mit ganz frischem
Blick zu lesen.
Quelle: FOCUS
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